Mitteilung Nr. 2 von Sensei Roland Habersetzer an das Institut Tengu:

 

Fallen für das Ego und "selbstmörderisches" Wissen...

 

"Das Schwert in der Scheide ist ein Schatz" (Japanisches Sprichwort)

Das erste wesentliche Anliegen (ohne jegliche philosophische Wertung bezüglich der Ordnung) jeder kämpferischen Praxis ist ganz einfach, ein Mittel zum Überleben in extrem gewaltsamen Konfliktsituationen anzubieten. Deshalb muss jede Technik der "leeren Hand" (="Kara -Te", per Definition, was ich hier aber aus Bequemlichkeit als generischen Ausdruck für eine Vielzahl von Techniken verstehe, die die gleiche Entwicklung wie das japanische Karate besitzen), um sowohl konform mit dem Geist der Tradition als auch glaubhaft in einer sich ändernden Welt zu sein, (in der man mehr und mehr die Angewohnheit annimmt, Worten nicht mehr ihren ursprünglichen Sinn zu geben, und wo man sich mit dem blassen Konzept der Substitution zufrieden gibt), die Entwicklung eines schneidenden Körpers und Geist - im authentischen Sinne: Körper und Geist sind trainiert wie eine Waffe, ein Schwert,... - bezwecken. Eine Kampfkunst zu praktizieren heißt, die Handhabung einer Waffe zu erlernen, sonst verliert Alles seinen Sinn. Ich weiß, nichts ist offensichtlicher als das.

Genau hierin liegt aber der springende Punkt. In einer Gesellschaft, die es vorzieht, eine dunkle Ecke zu ignorieren, sowie jeden pauschal und im vorhinein zu verdammen, der sich an eine ausführliche Auseinandersetzung dieser Frage heranwagt, leidet das Bild einer Waffe, die bloße Vorstellung, per Definition an einem negativen Beigeschmack.

Eine Waffe ist die Beschwörung der Gewalt, der Zerstörung, des Todes. Auf den ersten Blick kann der letale Aspekt (den Tod verursachend), zu dem dies führt, in einer Gesellschaft, die alles tut, um zivilisiert zu erscheinen, durch nichts seine Erhaltung rechtfertigen. Kann man also noch versuchen, verständlich zu machen, dass jede Waffe an sich untätig ist, und dass, dies eine fundamentale Mahnung aller traditioneller Unterweisungen im Kampf, der Geist die ultimative Waffe ist? Der Rest nur ergänzend hinzukommt? Nun ist es gesagt, und es erscheint mir von nun an nicht mehr nötig zu sein, auf ein soziologisches Problem einzugehen, welches nicht mein Anliegen ist.
 

Es ist sicher richtig, dass die Existenz einer Waffe gefährlich sein kann, wenn sie in die Hände von jemandem gerät, der nicht darauf vorbereitet ist, weder technisch (Risiko einer unkontrollierten Handhabung), noch mental (Risiko des Gebrauchs ohne den " rechten Geist"). Für den Fall, dass ich hier gleich abschweife: ich möchte mich hier nur an Praktizierende einer "Kampfkunst" (= Handhabung einer Waffe und Innehaben einer Ethik) wenden und nicht an diejenigen, deren unverantwortliches Verhalten mehr an die finstren Kriegsherren der alten Königreiche des Reichs der Mitte erinnert. Denn, dies eine weitere fundamentale Mahnung: es gibt in den Kampfkünsten keinen Unfall, d.h. etwas, was versehentlich passiert, was man nicht wirklich gewollt hat. Keine Frage, dass man von einer Technik überrascht ist, die uns entwischen könnte, und deren Effektivität sich plötzlich als unerwartet und total erweisen könnte. Auch ein Grund, weshalb eine authentische Ausübung einer Kampfkunst niemals, weder von nah noch von fern, eine spielerische Interpretation haben kann. Die Regeln für den Gebrauch von Techniken sind hier so strikt (und von Ernsthaftigkeit geprägt), dass sie sich nicht für ein Spiel eignen könnten. Oder sie verlieren ihr Wesen. Deshalb beabsichtigen diese Regeln etwas ganz anderes: den Übenden im als auch außerhalb des Dojos, zu einem alltäglichen Verhalten zu führen, welches vielmehr einen vorbildlichen Charakter als den Charakter eines besitzt, der die Verantwortlichkeit des Besitzes einer wahren "Waffe" auf sich nimmt. Und hier befinden wir uns nun mitten in der Problematik.

In den Kampfkünsten geht das Erlernen der Techniken Hand in Hand mit dem Schmieden eines Geistes, der fähig ist, den Einsatz in einer eventuellen gewaltsamen Konfrontation einzuschätzen. Das technische und mentale Streben den Regeln des "Wegs" (do, michi,...) folgend verfügt also über einen echten erzieherischen Wert für das Leben in der Gesellschaft: man lernt den angemessenen Respekt vor dem Gegenüber, der eigenen physischen Integrität, sogar vor dem Leben, Respekt, der nur dann zurücktreten darf, wenn die unabweisliche Notwendigkeit des Schutzes des eigenen Leben sowie desjenigen gegeben ist, der nicht in der Lage ist, dies selbst zu tun. Aus dieser Sicht und ohne jegliche Form von Zugeständnissen an die Lust (Ausdruck, unter diversen Formen, des ewigen "Ego", des künstlichen "Ichs",...), wird jede physische Konfrontation bitterer Ernst und sollte die absolute Ausnahme bleiben. Der letzte Ausweg, und auf keinen Fall, um Spaß zu haben. Das Resultat einer Entscheidung, einer Wahl, des Willen zur Kontrolle, der vollen Akzeptanz der Verantwortlichkeit aller möglichen Folgen der Tat. Das Alles natürlich im Zustande des Stresses, unter der brutalen Auswirkung einer entgegenstehenden Aggressivität, in einem kurzen Augenblick, der all die normalen Wahrnehmungsfähigkeiten beeinträchtigt. Die traditionelle Lehre, mit diesem Begriff von der Suche nach der inneren Meisterschaft und der Entdeckung des konstruktiven Wertes einer gewählten (und nicht aus Schwäche vorgeschobenen) Gewaltlosigkeit, verbindet sich nun wieder mit dem engen Rahmen der von der modernen Legislative zugelassenen Taten (mögliche Anwendung von minimaler, notwendiger und angemessener Gewalt zum Selbstschutz, ohne Entschuldigung im Falle des Missbrauchs). Die Tradition hat somit ein erzieherisches Potential: sich um das Schwert sorgen, sein Bestmöglichstes wollen, aber ablehnen, es aus der Scheide zuziehen, nur um seinen Glanz zum Vergnügen zu bewundern, sich beneiden oder einen Abend lang umjubeln zu lassen. Und mit einem Holzschwert (Bokken) in der Vorstellung zu trainieren, dass es jedes Mal schneidet, jede Bewegung zu machen "als ob", mit seinem ganzen Körper und Geist, ohne sich jemals in der Stimmung des Beweisens, "nur um zu sehen", gehen zu lassen, ohne dass wirklich ernsthaft....

Den großen Stolperstein für das Ego erkannt? All das hat nichts mit dem Gewinn eines Titel, der von einem Publikum anerkannten Überlegenheit, den Schmeicheleien für das "Ich" zu tun. Denn niemand gewöhnliches, im Gegensatz zur landläufigen Meinung, wägt mehr zwischen der Aggressivität, die sich in einem sportlichen Wettstreit entfalten kann, und der möglichen Gewalt von dem Punkt an ab, wo der wahre Einsatz das Leben ist. Sehr sorgfältig sein Schwert polieren, doch niemals den Drang haben, sich der Waffe zu bedienen, noch dies zu zeigen... All die Paradoxien der wahren Kampfkünste, oft beschrieben aber selten verstanden und noch seltener akzeptiert, werfen per Definition die Frage der Gewalt auf!

Ich verstehe gleichwohl, dass man Lust haben kann, den Kampf zu "spielen", aber unter dem Vorbehalt sich nicht Ernst zunehmen. Den Austausch von Techniken spielen, aber den Geist des Spiels beizubehalten, ist möglich. Versuchen, eine Überlegenheit im Wettkampf zu erzielen (diese Stufe ist unterdessen keine unumgängliche Etappe, um in den Kampfkünsten Fortschritte zu machen, weit entfernt von einem Muss!), kann nur innerhalb des spielerischen Rahmens, also die Abmachungen respektierend, gestattet sein. Ein meist zweifellos "männliches" Spiel, aber mit Regeln, die immer nur zu einer teilweisen Verpflichtung führen, liefert demnach zweifelhafte Ergebnisse in der Realität eines Kampfes um Leben und Tod. Aber wer ist wirklich bereit, die Offensichtlichkeit dieser Kenntnis der Relativität in einer solchen Beweisführung, im allgemeinen hochgeachtet von einer Öffentlichkeit, deren Verkennen der Realität in die Richtung der Täuschung und Fehler geht, zuzulassen? Wohl an, diese Verwirrung führt direkt zu zwei Gefahren. Vor allem die Tatsache, Regeln eines Spiels zu benutzten, um einer Gewalt (mit Gesten, verbal, mental) freien Lauf zu geben, die sich unter der Mitschuld aller ausbreitet und die Aufwertung des "Ego" als einzigen Zweck hat, in der Absolutheit des "Gespielten" von der Effektivität überzeugt sein, ist eine extrem gefährliche Schlussfolgerung, die zum Gegenteil der vorgeschlagenen Entdeckung des Weges des Kriegers führt, und wo mehr als einer seine Möglichkeiten, die er anfangs hatte, verloren hat.

Wie in einem schlechten Rollenspiel, wo, durch ein sich zu ernst nehmen, man irgendwo letztlich verrückt wird. Gefährlich für sich selbst (irriges Gefühl der Unverwundbarkeit) und für die anderen (unkontrolliertes Treiben). Man beobachtet heutzutage, dass in einer Vielzahl von Sportarten (nicht nur im Kampfsport) ein starker Grad von Gewalt zugelassen und im Namen des Sieges um jeden Preis durch praktisch jeden ermutigt wird. Rechtfertigt das sogenannte Bedürfnis des Aus-Sicht-Selbst-Gehen in einer Gesellschaft mit Problemen ein exzessives Verhalten?

Trotzdem ist es verwirrend, eine in den Stadien und Ringplätzen (wo man sich offensichtlich auf "Gladiatorenkämpfe" hinbewegt) weit verbreitete Gewalttätigkeit feststellen zu müssen, banalisiert in einer Gesellschaft, die ansonsten alles nötige tut, um ihr "zivilisiertes" Bild zu pflegen (beruhigend, nicht wahr?), und die sich wie ein Mann und mit einer unanständigen, falschen Schamhaftigkeit über die einfache Beschwörung einer "bewaffneten" Lehre (sei es eine Lehre vom Kämpfen) empört, die es noch wagt ihren Namen zu nennen, und deren Bewegungen, gemacht um zu verstümmeln oder zu töten, dennoch immer nur mit absoluter Kontrolle ausgeführt werden. Doch keine Ausrede, in der sportlichen Praxis so leicht gefunden, wird in den Kampfkünsten toleriert, wo es kein Alibi für die Ausbreitung einer grundlosen Gewalt gibt. Von welcher Seite soll man also den erzieherischen Aspekt der Lehre sehen?
 

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In der Tat ist in der geduldeten Praxis der "leeren Hand", abgesehen vom anfänglichen martialischen Rahmen, die wahre Gefahr einer schlecht gelernten, nicht wirklich "gelebten", ohne die "rechte Gesinnung" angewandten Bewegung zu Hause. Die Gefahr eines vom rechten Weg abgekommenen Gebrauchs, der Ethik entbehrend, die gelehrt wurde um zu kontrollieren, ebenso die Gefahr durch einen Mangel an Realität also durch ein Zugeständnis an ein falsches Gefühl der Sicherheit in einer blassen Substitutionslehre. Daher die Versuchung die angenommene Überlegenheit zu beweisen. Wohl an, viele der im sportlichen Spiel sicher wertvollen Konzepte sind ganz und gar "selbstmörderisch", wenn sie in einem reellen Kampf angewendet werden... Das Szenario eines sportlichen Wettkampfes, selbst wenn er heftig ist (in diesem Fall irrt man sich am meisten), ist sehr weit von dem einer Konfrontation, deren Ziel das Überleben unter den widrigst vorstellbaren und möglichen Bedingungen ist, entfernt. Doch daneben gibt es eine ebenso große Anzahl von komplexen Übungen, die, obwohl sie offensichtlich für den wahren Nahkampf bestimmt sind, Illusionen erzeugen, welche in der nackten Realität fatal sein könnten. Man spielt immer ein Spiel, selbst wenn man sich dabei sehr weh tun kann. Kann man denn überhaupt anders...? Da man sich in einer Schein- (glücklicherweise) Welt bewegt. Nun die Domäne der Kampfkunst, ist die des Alles oder Nichts... Sie ist besser "Nichts", oder? Erinnern sie sich an die ziemlich außergewöhnliche Szene des berühmten Films "Die Sieben Samurai" von Kurozawa, als ein von sich überzeugter Mann den Samurai zu einem totalen Kampf, in dem das echte Schwerter das Holzschwert ersetzt, herausfordert? Wenn der Samurai, sich des grausamen Spiels bewusst, da keine Notwendigkeit zu einer solche Gewalttätigkeit bestand, außer um den Hochmut zu befriedigen, beginnt abzulehnen, dann sich letztlich aber entschließt, die Herausforderung anzunehmen, tötet er ihn kurzer Hand, mit einem Schlag, den eigenen Körper verteidigend? Erinnern sie sich an den abschließenden Ausdruck seines Gesichtes? Kein Stolz über das Vollbrachte, kein Jauchzen, nichts außer Ernst und Überdruss angesichts so viel Dummheit, um mit dem Tod zu spielen, nur aus dem Bedürfnis des Wissenwollens, des Beweisenmüssens ... heraus. Immer das Ego... In den Kampfkünsten handelt es sich immer um eine Frage von Leben und Tod. Im absoluten Stresszustand. Keine Zeit, um ans Image, die Öffentlichkeit, über das, was sich in Bruchteilen von Sekunden abspielen wird, hinaus zu denken. All die, die sich eines Tages mit einer solchen Situation brutal konfrontiert fanden, wissen, dass dann der Körper wie auch der Geist vollkommen anders als in den bekannten normalen Trainingssituationen reagieren: Anstieg des Adrenalinspiegels, Wahrnehmungsstörungen, Nichtfunktionieren gelernter Bewegungen, etc.... Nein, und nochmals nein, das hat nichts mit dem zu tun, was man aus einer Auseinandersetzung nach Regeln zu kennen glaubt, es ist viel schlimmer, da man weiß, dass absolut keine externe Rückzugsmöglichkeit vorhanden ist... Deshalb folgt die Ausbildung in den Kampfkünsten, in mentaler mehr als in technischer Hinsicht, einer quasi diametralen Richtung als der im sportlichen und konventionellen Spiel vorangestellten. Ein vielleicht enttäuschendes Training, so streng und wenig gefällig es mit Ego ist, denn es ist nur dazu bestimmt, um bestenfalls (hoffentlich) für nichts oder schlimmstenfalls nur ein einziges Mal bereit zu stehen. Um so schlimmer bezüglich aller anderen Erwägungen. Überlegen Sie: Dies ist ganz und gar nicht dumm. Und absolut nicht durch einige Kritiker verwerflich, die für das Nein einer vermeintlichen Moral der Gewaltlosigkeit eintreten, die von der traurigen, alltäglichen Realität in Stücke geschlagen wurde.

Und dann gibt es noch eine weitere Sache von dieser Sorte Scheinheiligkeit, woran die Mehrheit der Übenden Gefallen findet. Wissen diese denn, das selbst der wohlbekannte "Killerinstinkt", auf dem Boden der freien und ungesunden Aggressivität, der uns oft möglich ist, in einem "geschiedsten" Kampf zu sehen, ebenfalls etwas ist, was, allem Anschein entgegen, nichts mit einer "endgültigen" Begegnung, welche auf "vermintem" Gebiet statt fände, zu tun hat? Denn wer, von all denen, die so ihre Gewalt mit dem Segen der Medien zur Schau stellen, wäre bereit die Barriere zwischen Leben und Tod zu überwinden? Ihre eigene? Die des anderen? Und wollten sie dies wirklich, könnten sie es wirklich, sicher? Ich begebe mich hier in den Bann unserer Kultur ("Du wirst niemanden töten.."), dies jedoch nicht leichten Herzens. Eine Waffe besitzen, aber davon keinen Gebrauch machen zu können oder zu wollen, wenn der Zeitpunkt gekommen ist, so kann sich dieser ultimative Augenblick der Wahrheit, um den sich über Jahren das mehr oder weniger künstliche Training drehte, darstellen, ist die schlimmste aller Fallen zu der ein pseudomartialisches Training führen kann... Die Kampfkunst lehrt das Leben, welches ein Schatz ist, und dass der kleinste Fehler zu seinem Verlust führen kann. Das ist der Grund, warum sie Mäßigung, Zurückhaltung und Bescheidenheit predigt. Darin liegt der Grund, dass sie verantwortungsbewußte Männer und Frauen für eine Gesellschaft, die Glaubwürdigkeit und keinen Sand in den Augen benötigt, formt. Deshalb fordert sie, bereit zu sein, ohne Drang dies bekannt zu machen, besser sogar, im Zweifel dies zeigen zu müssen.

Sein und nicht scheinen... Denn im Bereich der Kampfkünste gilt nicht, dass "Kleider Leute machen"!

wird fortgesetzt...

Roland HABERSETZER, Direktor des Institut Tengu


 DIESER ARTIKEL (Copyright) ist TEIL EINER ÜBERLEGUNG DIE EIN THEMA EINER VERÖFFENTLICHUNG SEIN WIRD

Übersetzt von Erhard Weidenauer